Die Grenzen des Schockschadens – kein Ersatz bei Flugzeugabsturz in Wohnhaus
Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs gebührt in bestimmten Fällen ein Ersatz des sogenannten Schockschadens – also einer krankheitswertigen psychischen Beeinträchtigung.
In seiner rezenten Entscheidung zu 2 Ob 12/25s verneinte der OGH nun den Ersatz eines solchen Schockschadens für ein Ehepaar, nachdem ein Kleinflugzeug in ihr Wohnhaus gestürzt war. Laut OGH ist keine von der Rechtsordnung zu schützende Sonderbeziehung zwischen Mensch und Sache anzunehmen. Auch die belastende Vorstellung, was allenfalls hätte passieren können, reicht nicht.
Der zugrundeliegende Sachverhalt
Im Sommer 2022 stürzte ein Kleinflugzeug im Bereich des Schlafzimmers in das Dach des Einfamilienhauses der Kläger. Diese waren zum Zeitpunkt des Unfalls nicht anwesend, wurden jedoch telefonisch darüber informiert, eilten sofort nach Hause und erlebten noch die Bergung der Verletzten mit. Die Kläger waren geschockt und entwickelten in der Folge psychische Beschwerden. Diese resultierten einerseits aus den Beschädigungen ihres Hauses, andererseits aus der belastenden Vorstellung, was hätte passieren können, wären sie zu Hause gewesen. Die beiden Kläger begehrten daraufhin vom Piloten, dem Flugzeughalter sowie der Versicherung des Flugzeugs unter anderem Schmerzengeld für den erlittenen Schockschaden.
Was ist ein Schockschaden?
Schockschäden beschreiben psychische Beeinträchtigungen mit Krankheitswert und sind in der Regel nur in zwei Fallkonstellationen ersatzfähig:
Einerseits wenn die psychisch beeinträchtigte Person ein naher Angehöriger eines Getöteten oder Schwerstverletzten ist. Dazu zählen die Mitglieder der Kernfamilie (Ehegatte, Kinder, Eltern, Lebensgefährte), sowie – bei gemeinsamem Haushalt – auch Geschwister. Entscheidend ist, dass eine intensive Gefühlsgemeinschaft vorliegt, wie das typischerweise zwischen Angehörigen der Fall ist. In diesen Fällen ist für den Ersatz eines Schockschadens nicht entscheidend, ob der Betroffene den Unfall selbst miterlebt hat oder bloß durch die Verständigung vom Unfall den Schock erlitten hat.
Andererseits gesteht die Rechtsprechung auch dann den Ersatz eines Schockschadens zu, wenn der Betroffene zwar nur ein Dritter ist, dafür aber unmittelbar am Unfallgeschehen beteiligt war. Grund dafür ist, dass das unmittelbare Miterleben des Unfalls der Sonderbeziehung zwischen nahen Angehörigen wertungsmäßig gleichgehalten wird.
Vor diesem Hintergrund hat der OGH beispielsweise bei der Tötung eines geliebten Haustieres (OGH 10 Ob 3/20v) oder bei der Beschädigung eines Kfz (OGH 2 Ob 100/05b) den Ersatz eines Schockschadens verneint. Grund ist, dass eine Sonderbeziehung zwischen Mensch und einer Sache – worunter auch Tiere fallen – von der Rechtsordnung nicht mit der Sonderbeziehung zwischen Menschen gleichgesetzt wird.
Die Entscheidung des OGH
In der rezenten Entscheidung lehnte der OGH den Ersatz für den erlittenen Schockschaden ab und begründete sein Urteil mit den verschiedenen Kriterien, die der OGH im Laufe der Jahre entwickelt hat:
Kein Fernwirkungsschaden: Es bestand kein Angehörigenverhältnis zwischen den Klägern und den Unfallbeteiligten (Piloten).
Keine unmittelbare Unfallbeteiligung: Die Kläger befanden sich zum Unfallzeitpunkt weder im Haus noch in dessen Nähe und waren dem Unfallgeschehen somit nicht unmittelbar ausgesetzt.
Keine Sonderbeziehung zwischen Mensch und Sache: Die Kläger stützen ihre Ansprüche unter anderem auf die massive Beschädigung ihres Hauses im Bereich ihres Schlafzimmers. Eine Sonderbeziehung zwischen Mensch und einem Wohnhaus als reine Sache, die der Beziehung zwischen Angehörigen auch nur nahekommt, ist nicht anzunehmen.
Kein Ersatz für das allgemeine Lebensrisiko: Es gehört zum von jedermann selbst zu tragenden Lebensrisiko, dass man nur durch Zufall einer Gefahr entrinnt. Eine Abgrenzung oder Bestimmung des betroffenen Personenkreises im Rahmen eines solchen allgemeinen Lebensrisikos ist auch gar nicht möglich. Aus Gründen der Rechtssicherheit ist daher eine Ausdehnung der Haftung für solche Schockschäden zu verneinen.
Im Ergebnis sind weder Sachbeschädigungen noch die bloße Vorstellung alternativer Unfallverläufe ausreichend, um einen Anspruch auf Ersatz von Schockschäden zu begründen. Der OGH verortet psychische Reaktionen auf solche „Beinahe-Erlebnisse“ vielmehr im Bereich des allgemeinen Lebensrisikos, das jeder selbst zu tragen hat.
Fazit
Der OGH hält zwar fest, dass der Schock der Kläger aufgrund der unvorhersehbaren Dramatik der Sachbeschädigung und der in den höchstpersönlichen Lebensbereich hinterlassenen Spuren nachvollziehbar ist. Eine Ausweitung der Haftung für Schockschäden lehnt er aber dennoch weiterhin ab. Die verletzten Piloten waren weder Angehörige der Kläger, noch waren die Kläger in der Nähe des Unfallgeschehens. Der OGH bestätigt damit seine bisherige Rechtsprechung und spricht sich dezidiert gegen eine „uferlose Ausweitung“ der Haftung für Schockschäden aus.
Für die Praxis bedeutet das: Nicht jede potenzielle Gefahr oder psychische Belastung aufgrund von Schreckensvorstellungen, die in die Kategorie des von jedermann selbst zu tragenden Lebensrisikos fällt, wird entschädigt. Die Schwelle zur Ersatzpflicht von Schockschäden bleibt hoch.