VfGH: Die erste Pensionsanpassung zu aliquotieren ist verfassungskonform
Gleichheitsgrundsatz ist kein Maßstab – Aliquotierung ist auch keine Schlechterstellung von Frauen
Es ist verfassungskonform, dass für die erste jährliche Anpassung von Pensionen eine Aliquotierung gilt. Diese Bestimmung ist nicht gleichheitswidrig: Der Gesetzgeber kann, so der VfGH, von einer Durchschnittsbetrachtung ausgehen; ob das Ergebnis in allen Fällen als befriedigend angesehen wird, ist nicht am Gleichheitsgrundsatz zu messen. Gegen diese Regelung in den Sozialversicherungsgesetzen (ASVG, GSVG, BSVG) hatten sich 69 Abgeordnete der SPÖ und der FPÖ (und damit mehr als ein Drittel der Nationalratsabgeordneten), Arbeits- und Sozialgerichte sowie Betroffene gewendet; insgesamt handelt es sich um mehrere hundert Anträge.
Nach den angefochtenen Bestimmungen (z.B. § 108h ASVG für Pensionen, die von der Pensionsversicherungsanstalt ausbezahlt werden) sind grundsätzlich alle Pensionen ab 1. Jänner eines jeden Jahres mit dem Anpassungsfaktor zu multiplizieren. Bei der ersten Pensionsanpassung gilt jedoch eine Aliquotierung, die sich danach bestimmt, in welchen Monat der Stichtag fällt (der Tag, ab dem eine Pension bezogen wird). So erhalten nur Personen, die mit 1. Jänner in Pension gehen, zum folgenden Jahresersten die volle Erhöhung. Bei einem späteren Pensionsantritt ist die erste Erhöhung für jeden Monat um 10 Prozentpunkte geringer, und Personen, die mit 1. November oder 1. Dezember in Pension gehen, erhalten ab 1. Jänner des übernächsten Jahres eine Anpassung.
Der VfGH stellt fest, dass es im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers liegt, sich bei der ersten Anpassung für ein Modell der Aliquotierung zu entscheiden. Die jährliche Erhöhung der Pensionen soll deren Kaufkraft erhalten. Bereits dadurch, dass alle Pensionen – unabhängig vom Stichtag – jährlich mit 1. Jänner aufgewertet werden, entstehen Ungleichbehandlungen, wogegen keine Bedenken bestehen. Dazu kommt, dass der Gesetzgeber die angefochtene Aliquotierung 2023 abgemildert und für die Jahre 2024 und 2025 ausgesetzt hat, um unerwünschte Auswirkungen dieses Modells zu begrenzen.
Die Aliquotierung bedeutet auch keine verfassungswidrige Schlechterstellung von Frauen. Das Bundesverfassungsgesetz über unterschiedliche Altersgrenzen von Männern und Frauen aus dem Jahr 1992 sieht für Frauen, die zwischen 1. Jänner 1964 und 30. Juni 1968 geboren sind, ab 1. Jänner 2024 eine stufenweise Angleichung des Pensionsantrittsalters mit jenem von Männern vor. Damit fällt der Pensionsstichtag dieser Frauen vorwiegend, aber nicht zwangsläufig, in die zweite Jahreshälfte. Der Umstand, dass Frauen der Geburtenjahrgänge 1964 bis 1968 von der Aliquotierung stärker betroffen sind, ist jedoch bloße Konsequenz eines Verfassungsgesetzes und daher verfassungsrechtlich unbedenklich.