Beitrags Bild: Ist das mehrmalige Befahren der Autobahn ohne Vignette (k)ein fortgesetztes Delikt?
Mittwoch, 25.05.2022

Ist das mehrmalige Befahren der Autobahn ohne Vignette (k)ein fortgesetztes Delikt?

Mit dieser Frage musste sich der VwGH kürzlich auseinandersetzen.

Im vorliegenden Fall fuhr im Mai 2019 ein Lenker eines Autos (mit weniger als 3,5 Tonnen Gesamtgewicht) an mehreren Tagen auf der Autobahn, ohne die zeitabhängige Maut (durch Kauf einer digitalen Vignette oder Anbringung einer gültigen Klebevignette am Fahrzeug) entrichtet zu haben. Die zuständige Bezirkshauptmannschaft verhängte über den Lenker für jede einzelne Fahrt eine Geldstrafe nach dem Bundesstraßen-Mautgesetz 2002 (BStMG).

Der Lenker erhob gegen alle Strafen Beschwerden an das zuständige Landesverwaltungsgericht (LVwG).

Das LVwG gab den Beschwerden insofern Folge, als es nur noch eine Strafe über den Lenker verhängte. Gleichzeitig änderte das Gericht im Strafausspruch den Tatzeitpunkt dahingehend, dass dieser die Tatzeitpunkte der anderen (mit dem Erkenntnis des LVwG gleichzeitig aufgehobenen) Strafen umfasste. In seiner Begründung ging das LVwG zwar auch davon aus, dass der Lenker die Autobahn mehrmals (insgesamt dreimal) ohne ordnungsgemäße Entrichtung der Maut befahren habe, diese Übertretungen würden aber – aus Sicht des Gerichtes – aufgrund der Gleichartigkeit der Begehungsform und der Ähnlichkeit der äußeren Begleitumstände innerhalb eines zeitlichen Zusammenhangs sowie einer gesamtheitlichen Sorgfaltswidrigkeit des Lenkers zu einer Einheit zusammentreten. Es handle sich somit um ein einziges fortgesetztes Delikt, das nur einmal zu bestrafen sei. Es bestehe auch für den Lenker keine spezielle Verpflichtung (wie für LKW-Lenker), sich vor, während und nach jeder Fahrt der Funktionsfähigkeit elektronischer Mautabbuchungsgeräte zu vergewissern. Die dahingehende Rechtsprechung des VwGH zur fahrleistungsabhängigen Maut, wonach aufgrund dieser Verpflichtung die mehrmalige Übertretung kein fortgesetztes Delikt sei, sei auf die vorliegenden Fälle, die die Nichtentrichtung der zeitabhängigen Maut beträfen, daher nicht übertragbar.

Dagegen wendete sich die Bezirkshauptmannschaft mit einer Amtsrevision an den VwGH.

Der VwGH setzte sich mit der Frage auseinander, ob es sich beim mehrmaligen Befahren einer mautpflichtigen Straße mit einem Fahrzeug unter 3,5 Tonnen Gesamtgewicht, ohne die zeitabhängige Maut entrichtet zu haben, um ein fortgesetztes Delikt handelt.

Zunächst führte er dazu aus, dass im Verwaltungsstrafrecht – anders als im gerichtlichen Strafverfahren – das Kumulationsprinzip gilt. Nach diesem ist grundsätzlich jede gesetzwidrige Einzelhandlung, durch die ein Tatbestand verwirklich wird, als eigene Verwaltungsübertretung zu bestrafen. Unter anderem bei fortgesetzten Delikten besteht nach der Rechtsprechung des VwGH jedoch eine Ausnahme von diesem Prinzip.

Ein solches fortgesetztes Delikt liegt dann vor, wenn eine Reihe von Einzelhandlungen von einem einheitlichen Willensentschluss umfasst war und wegen der Gleichartigkeit ihrer Begehungsform sowie der äußeren Begleitumstände im Rahmen eines erkennbaren zeitlichen Zusammenhangs zu einer Einheit zusammentreten. Ein fortgesetztes Delikt kann nach der Rechtsprechung des VwGH auch fahrlässig begangen werden (siehe dazu etwa VwGH 3.5.2017, Ra 2016/03/0108).

Zum Fall der mehrmaligen Nichtentrichtung der fahrleistungsabhängigen Maut hatte der VwGH bereits ausgeführt, dass aufgrund der speziellen Verpflichtung für LKW-Lenker, sich vor, während und  nach jeder Fahrt der Funktionsfähigkeit elektronischer Mautabbuchungsgeräte („GO-Box“) zu vergewissern, die mehrmalige Nichtentrichtung der Maut nicht als fortgesetztes Delikt anzusehen ist. Diese Verpflichtung ergibt sich direkt aus dem BStMG.

Betreffend die zeitabhängige Maut für Fahrzeuge unter 3,5 Tonnen Gesamtgewicht – in Form der geklebten oder digitalen Vignette – verweist das BStMG auf die Mautordnung. Bei dieser von der ASFINAG zu erlassenden Mautordnung handelt es sich um eine Durchführungsverordnung im Sinne des Art. 18 Abs. 2 B-VG.

Die im vorliegenden Fall anwendbare Fassung der Mautordnung legte ausdrücklich fest, dass sich der Lenker eines mautpflichtigen Kraftfahrzeuges vor dem Befahren des mautpflichtigen Straßennetzes zu vergewissern hat, dass die zeitabhängige Maut für den Zeitraum der beabsichtigten Nutzung der Mautstraße (vorab) ordnungsgemäß entrichtet wurde, so der VwGH weiter. Im Fall der digitalen Vignette kann dies durch die Einsicht in die Vignettenevidenz durch Abfrage mittels des Kennzeichens des Kraftfahrzeuges erfolgen.

Nach der im vorliegenden Fall maßgeblichen Rechtslage bestand somit auch für Lenker von Fahrzeugen unter 3,5 Tonnen Gesamtgewicht, die für die Benützung einer mautpflichtigen Straße eine zeitabhängige Maut zu entrichten haben, die Verpflichtung, sich vor jeder Fahrt zu vergewissern, ob die zeitabhängige Maut ordnungsgemäß entrichtet wurde.

Dadurch wurde bei jeder Nutzung einer mautpflichtigen Straße ohne ordnungsgemäße Entrichtung der zeitabhängigen Maut eine neuerliche Verwaltungsübertretung begangen, weil sich der Lenker vor jeder Nutzung der Mautstraße aufs Neue von der ordnungsgemäßen Entrichtung der zeitabhängigen Maut zu überzeugen gehabt hätte.

Der VwGH hob die angefochtene Entscheidung des LVwG daher auf.

Quelle: www.vwgh.gv.at | Ra 2020/06/0156 vom 23. März 2022