Die Impfpflicht ist angesichts der geltenden Nichtanwendung verfassungskonform
Eingriff in die körperliche Integrität zum Schutz der öffentlichen Gesundheit und vulnerabler Personen
Das Impfpflichtgesetz ist, angesichts der zum Zeitpunkt der Entscheidung des VfGH geltenden COVID-19-Nichtanwendungsverordnung, verfassungskonform. Ein Antragsteller aus Wien hatte u.a. vorgebracht, die Impfpflicht verletze das Recht auf Achtung des Privatlebens (Art. 8 EMRK), denn dieses umfasse auch die medizinische Entscheidungsfreiheit und körperliche Integrität. Der VfGH hatte den Antrag des Wieners nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Entscheidung zu beurteilen; diese wurde am 23. Juni 2022 getroffen.
Die Impfpflicht ist ein besonders schwerer Eingriff in die körperliche Integrität und das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen, hält der VfGH in der Entscheidung fest. Daher gilt auch ein strenger Maßstab bei der Prüfung, ob die Impfpflicht verhältnismäßig ist. Art. 8 Abs. 2 EMRK nennt die Voraussetzungen dafür, dass ein Eingriff in dieses Grundrecht statthaft ist. Dies ist der Fall, wenn der Eingriff gesetzlich vorgesehen und etwa zum Schutz der Gesundheit notwendig ist.
Das COVID-19-Impfpflichtgesetz verfolgt das Ziel einer hohen Durchimpfungsrate zum Schutz von Personen, die die Impfung aus medizinischen Gründen nicht in Anspruch nehmen können oder bei denen die Wirksamkeit der Impfung herabgesetzt ist (vulnerable, d.h. schutzbedürftige Personen). Auch zielt das Impfpflichtgesetz darauf ab, durch das – nach einer Impfung – geringere Risiko schwerer Krankheitsverläufe die Funktionsfähigkeit der Gesundheitsinfrastruktur und dadurch die öffentliche Gesundheit zu schützen.
Dazu kommt, dass der Gesundheitsminister auf Grund des Impfpflichtgesetzes verpflichtet ist, laufend zu überprüfen, ob eine Impfung zur Erreichung dieser Ziele geeignet und erforderlich ist oder ob es ein gleich wirksames, aber weniger eingriffsintensives Mittel gibt (etwa eine Impfpflicht nur für bestimmte Berufs- oder Personengruppen). Als Ergebnis dieser verfassungsrechtlich gebotenen laufenden Evaluierung ist die Verpflichtung zur Impfung seit 12. März 2022 ausgesetzt. Bei dieser Rechtslage bestehen gegen die zulässigerweise angefochtenen Bestimmungen des Impfpflichtgesetzes keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
Quelle: www.vfgh.gv.at