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Montag, 11.11.2024

Interview mit Rechtsanwalt Dr. Philipp Merzo von AI:ssociate und GSV Rechtsanwälte

Heute dürfen wir Dr. Philipp Merzo zum Interview begrüßen. Er hat sich nicht nur als Rechtsanwalt und Partner bei Grama Schwaighofer Vondrak Rechtsanwälte einen Namen gemacht, sondern nimmt auch als Gründer und CEO von AI:ssociate eine Vorreiterrolle in der Schnittstelle zwischen Recht und Künstlicher Intelligenz ein.

Im Rahmen unserer Interviewreihe „KarriereInsights“ bitten wir Persönlichkeiten der Juristenszene – von Berufseinsteigern bis Branchengrößen – um Einblicke in den eigenen Werdegang und den ein oder anderen Karrieretipp.


Können Sie uns etwas über Ihren beruflichen Werdegang erzählen?  

Nach dem Jus-Studium war ich Konzipient bei Grama Schwaighofer Vondrak Rechtsanwälte GmbH, anschließend Universitätsassistent am Lehrstuhl von Prof. Torggler. Danach habe ich Gerichtspraxis gemacht und war kurze Zeit auch bei der Finanzprokuratur als Prokuraturanwaltsanwärter. Nach der Rechtsanwaltsprüfung bin ich wieder zurück zur Grama Schwaighofer Vondrak Rechtsanwälte, wo ich 2023 Partner wurde. Neben der Litigation ist die Künstliche Intelligenz mein Schwerpunkt. Seit Beginn des AI:ssociate Projekts im März 2024 widme ich mich hauptsächlich unserem Startup und betreue als Anwalt nur noch ausgewählte Causen. 

Wollten Sie schon immer Rechtsanwalt werden oder hatten Sie auch andere Berufsziele?

Als Kind wollte ich Astronaut werden und fremde Welten erkunden. Jus ist es dann aus Verlegenheit geworden. Die Leidenschaft für das Recht hat sich erst im Laufe der Zeit entwickelt.  

Sie sind Jurist und kein klassischer Informatiker. Wie kam es zu Ihrem Interesse und Know-how im Bereich AI und Legal Tech? 

Die Entwicklungen im KI-Bereich, insbesondere der Weg zur Artificial General Intelligence und Superintelligenz faszinieren mich seit langem. Was gerade noch Science-Fiction war, scheint nun zum Greifen nah zu sein. Tatsächlich stehen wir aber erst am Beginn einer wohl nicht mehr aufzuhaltenden Revolution, die keinen Stein auf dem anderen lassen wird. Ich hab mich daher in den letzten zehn Jahren intensiv mit Machine Learning auseinandergesetzt und wollte auch mathematisch verstehen, wie die KI-Modelle und insbesondere tiefe neuronale Netze funktionieren. Im Zuge dessen habe ich die Python-Programmierung erlernt. Das hat gemeinsam mit meinem Interesse für die juristische Methodologie in die Entwicklung des AI:ssociate Prototyps gemündet.  

Ein Tool wie AI:ssociate hätte man eher aus der juristischen Verlagswelt als von einem Rechtsanwalt bzw. einer Wirtschaftskanzlei erwartet. Gibt es von der Verlagsseite entsprechende Tools oder ein Interesse an einer Kooperation?

Wir sind mit unserem Tool die ersten am Markt und glauben, bei der Qualität der Antworten auch nach Einführung von Konkurrenzprodukten Vorreiter bleiben zu können. Die enge Verflechtung zwischen Anwält:Innen und Programmierern ermöglicht uns eine extrem schnelle Anpassung an geänderte Rechtslagen und technologische Neuerungen. Da wir selbst als Kanzlei auch Kunden von AI:ssociate sind, wissen wir bestens, was die Praxis benötigt. Dass unser Tool Fragen nur anhand von Gesetzen und höchstgerichtlichen Entscheidungen beantwortet, sehen wir als Vorteil. Wir haben bei Tests gesehen, dass zuviel Content das Sprachmodell "verwirrt". Auch ist die Qualität von Fachbeiträgen in der Literatur sehr unterschiedlich. Sprachmodelle können mit apodiktischen Feststellungen der Rechtslage - wie in OGH Entscheidungen - besser umgehen als mit ausschweifenden juristischen Abhandlungen, die bisweilen mit unklaren Ergebnissen enden.   

Einer Kooperation mit Verlagen stehen wir dennoch offen gegenüber, wird man sich ja als Praktiker insbesondere in den Fällen, in denen es (noch) keine OGH-Entscheidungen zu gewissen Fragen gibt, mit der Literatur auseinandersetzen müssen.  

Ist die Qualität der Ergebnisse bereits mit der Arbeit von Jurist:innen vergleichbar?

Die Qualität der Antworten ist im Schnitt mit jenen von Berufsanwärtern (Jus-Absolventen), zB jungen Konzipient:innen vergleichbar. Das wurde uns von zahlreichen Berufskollegen bestätigt und wird aktuell auch anhand von juristischen Bewertungsmetriken objektiviert.

Wie viele höchstgerichtliche Urteile, Gesetze und juristische Inhalte sind bereits eingearbeitet?  

Im Moment sind in etwa 180.000 OGH Urteile und alle relevanten Gesetze verarbeitet, das entspricht in etwa zwei Millionen Seiten Rechtstexte. Das Wissen wurde anhand eine eigens entwickelten Aufbereitungsstrategie in unserer Wissensdatenbank verarbeitet und wird durch eine ausgefeilte mehrstufige Extrahierungsmethoden unter Anwendung der juristischen Methodik in das jeweils beste verfügbare Sprachmodell eingespeist. 

Wer ist die Anwenderzielgruppe von AI:ssociate? Könnten beispielsweise auch Jusstudierende AI:ssociate zur Falllösung verwenden oder gibt es Gründe, die gegen die Verwendung durch juristische Laien sprechen?

Die Zielgruppe sind aktuell Unternehmen (als Vertragspartner) und Jurist:innen (als Nutzer), insbesondere Anwält:innen, Notar:innen und Jurist:innen in Rechtsabteilungen. Für Studierende der Rechtswissenschaften wird es auch Angebote geben, daran arbeiten wir aktuell. An juristische Laien richtet sich das Tool nicht. Sprachmodelle sind generell nicht unfehlbar, wenngleich die Trefferquote bei AI:ssociate sehr hoch ist. Die Antworten müssen von Rechtsexperten vor Verwendung geprüft werden.   

Welche drei Tipps haben Sie für die Anwendung von AI:ssociate im Rahmen der täglichen juristischen Arbeit?  

Man sollte sich mit Prompting-Techniken auseinandersetzen. Wichtig ist auch die Limitierungen von KI-Assistenten im juristischen Bereich zu erkennen. Sie eignen sich gut für eine juristische Ersteinschätzung und für das Ausführen von Argumenten anhand der OGH-Judikatur, jeweils als Textbaustein und Ausgangspunkt einer juristischen Erledigung. Schließlich muss der Output geprüft werden, was durch unsere generierten Links zu den Gesetzen und OGH-Entscheidungen sehr einfach ist. 

Ist das der Beginn der sogenannten "Robo-Anwälte"? Welchen Teil der Arbeit von Jurist:innen kann die KI bereits heute gut übernehmen und welcher Teil wird Ihrer Meinung nach bei den natürlichen Personen bleiben?  

Von Robo-Anwälten sind wir noch recht weit entfernt. KI wird auf Sicht keine Jurist:innen ersetzen, aber Jurist:innen, die KI einsetzen, werden solche ersetzen, die dies nicht tun. Insbesondere die harte Recherchetätigkeit, die Formulierung von juristischen Argumenten und Aufbereitung der Rechtslage für Berichtsmails, Gutachten, Schriftsätze usw. kann aktuell sehr gut von AI:ssociate erledigt werden.   

Die Ergebnisse von AI:ssociate sind jetzt schon sehr beeindruckend, aber welche Verbesserungen dürfen Jurist:innen in den kommenden Jahren erwarten? Ist auch die Expansion in andere Länder angedacht und ist ein Monetarisierungsmodell wie bei ChatGPT als Abomodell geplant?  

In Kürze wird es ein Pseudonymisierungstool für die eigenen Inhalte geben, die User in unsere Sub-Datenbanken laden. Die Aufbereitungs- und Extrahierungsstrategie des Wissens wird laufend unter Zusammenarbeiten von Jurist:innen und Programmieren sowie Mathematikern verfeinert. Erweiterungen in das öffentliche Recht und Europarecht sind geplant. Die historische Interpretationsmethode wird noch weiter ausgebaut werden. Kooperationen mit Universitäten sind in Arbeit. Wir trainieren bzw. fine-tunen auch ein eigenes juristisches Sprachmodell. 

Aktuell bieten wir bereits Abo-Modelle an. Eine Expansion in andere Länder ist definitiv angedacht. 

Letztes Jahr ist die Recherche eines US-Anwalts mit ChatGPT auf spektakuläre Weise schiefgegangen, da es sogenannte Fake-Urteile liefert. Sind solche "Halluzinationen" weiterhin möglich?  

Durch unsere Methode der Wissensextrahierung und den dadurch vorgegebenen Kontext sind Halluzinationen des Sprachmodells weitestgehend ausgeschlossen. 

Welchen Rat würden Sie Jusstudierenden oder Jurist:innen geben, die sich für die Schnittstelle von Recht und Technologie interessieren?  

Nicht davor zurück zu schrecken, auch selbst programmieren zu lernen, zum Programmieren KI einzusetzen und ein tieferes Verständnis für die Schnittstellen zu entwickeln. Die Kombination zwischen Machine Learning und Rechtswissenschaften steckt noch in den Kinderschuhen. Wer sich heute darauf spezialisiert, wird morgen sehr gefragt sein, glaube ich. 

Gibt es etwas, das Sie unseren Lesern noch mit auf den Weg geben möchten?  

Die aktuellen Entwicklungen im KI-Bereich aufmerksam zu verfolgen, auch wenn der Megatrend KI müde machen kann. Das Thema wird uns alle betreffen. Es ist aus meiner Sicht gut, sich schon jetzt damit anzufreunden.

Wir bedanken uns für das spannende Interview und wünschen weiterhin viel Erfolg und Freude. 🍀

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Persönliche Fragen an Philipp Merzo

Wo und wie tanken Sie Energie?  
Beim Gitarrespielen, in der Natur und in der Sauna.

Welches Buch lesen Sie gerade?
Eines der letzten war Cixin Liu - Three Body Problem. Eines der besten Sci-Fi Bücher überhaupt und ein Muss für jeden, der sich für Physik und das Weltall interessiert.

Welche App ist für Sie unverzichtbar?
ChatGPT und Claude 3.5

Ihr Lieblingszitat?
Halte Dir jeden Tag 30 Minuten für Deine Sorgen frei. Und mach in dieser Zeit ein Nickerchen (Abraham Lincoln).


LawFinder Redaktion
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