Dürfen Medien prinzipiell von Datenschutzbestimmungen ausgenommen sein?
Es ist verfassungswidrig, Datenverarbeitungen durch Medienunternehmen, die zu journalistischen Zwecken erfolgen, gänzlich von den Bestimmungen des Datenschutzgesetzes auszunehmen. Dieser undifferenzierte Ausschluss („Medienprivileg“) verstößt, wie der VfGH festgestellt hat, gegen das Grundrecht auf Datenschutz.
VfGH: Medien dürfen nicht prinzipiell von Datenschutzbestimmungen ausgenommen sein. Gesetzgeber hat bis Mitte 2024 für differenzierte Regelung Zeit
Auslöser für die Entscheidung war, unter anderen, die Beschwerde eines Mannes an die Datenschutzbehörde, dessen Visitenkarte ungeschwärzt in einem Beitrag und in Bildaufnahmen über eine Hausdurchsuchung auf der Homepage eines Medienunternehmens zu sehen gewesen war. Die Datenschutzbehörde wies die Beschwerden gegen die Veröffentlichung personenbezogener Daten durch Medienunternehmen „wegen Unzuständigkeit“ zurück. Gegen die Zurückweisung beschwerte sich der Mann beim Bundesverwaltungsgericht, das daraufhin beim VfGH beantragte, das Medienprivileg als verfassungswidrig aufzuheben.
§ 9 Abs. 1 des Datenschutzgesetzes (DSG) sieht vor, dass das DSG sowie näher bezeichnete Teile der EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) auf journalistische Datenverarbeitungen durch Medieninhaber, Herausgeber sowie Mitarbeiter eines Medienunternehmens oder Mediendienstes nicht anzuwenden sind.
Medien prinzipiell von der Anwendung des DSG auszuschließen widerspricht jedoch dem Grundrecht auf Datenschutz. Gesetzlich in den Datenschutz einzugreifen ist nämlich nur dann zulässig, wenn der Eingriff zur Wahrung überwiegender berechtigter Interessen eines anderen notwendig ist. Der Gesetzgeber ist also auf Grund des Grundrechts auf Datenschutz stets gehalten, eine Abwägung zwischen dem Interesse des Betroffenen am Schutz seiner personenbezogenen Daten und den gegenläufigen berechtigten Interessen eines anderen (z.B. eines Medienunternehmens) vorzusehen.
Medien nehmen in einer demokratischen Gesellschaft als „public watchdog“ eine zentrale Rolle im öffentlichen Interesse wahr. Die Meinungs- und Informationsfreiheit erfordert daher Ausnahmen vom Datenschutz, wenn die Datenschutzbestimmungen mit den Besonderheiten der Ausübung journalistischer Tätigkeit nicht vereinbar wären. Auch könnte der Gesetzgeber für Medien erhöhte Anforderungen an die interne Organisation, Dokumentation und technische Sicherung der verarbeiteten Daten vorsehen.
Das Grundrecht auf Datenschutz erlaubt es jedoch nicht, prinzipiell der Meinungsäußerungs- und Informationsfreiheit für Tätigkeiten, die zu journalistischen Zwecken ausgeübt werden, den Vorrang vor dem Schutz personenbezogener Daten einzuräumen. Der Umstand, dass Datenschutzverletzungen durch journalistische Datenverarbeitungen mitunter nach medienrechtlichen oder zivilrechtlichen Bestimmungen vor den ordentlichen Gerichten bekämpft werden können, ändert nichts daran, dass es verfassungswidrig ist, journalistische Datenverarbeitungen von den speziellen datenschutzrechtlichen Garantien überhaupt freizustellen.
§ 9 Abs. 1 DSG ist daher verfassungswidrig. Die Aufhebung dieser Bestimmung tritt mit Ablauf des 30. Juni 2024 in Kraft. Bis dahin hat der Gesetzgeber Zeit, eine entsprechend differenzierte Neuregelung zu treffen.
Quellle: www.vfgh.gv.at | (G 287-288/2022)